Heute erhielt ich einen Anruf aus der Türkei. Nach kurzem Zögern, ob ich den Anruf überhaupt annehmen sollte, da ich in der Türkei niemanden kenne, habe ich dann doch angenommen. Es meldete sich ein freundlicher Herr, der früher in Deutschland gelebt hatte und in die Türkei zurückgekehrt war.
Er habe das Klavier von Franz-Josef Breuer und sei durch eine Google-Suche auf diese Seite gekommen. Er habe das Klavier vor vielen Jahren in Deutschland gekauft, damit seine Söhne das Klavierspielen erlernen könnten. Bei der Rückkehr in die Türkei sei das Klavier mitumgezogen und stehe jetzt unbenutzt rum. Es sei mittlerweile schon mehrfach umgezogen, erinnerte sich der Anrufer. Aber es spiele keiner mehr darauf. Er könne es nach Deutschland zurücktransportieren lassen.
Dieses Klavier, welches im Arbeitszimmer meines Vaters in der Wellingsbütteler Landstraße in Hamburg gestanden hatte, war tatsächlich auf ominöse Art verschwunden. Es war mir zugesagt gewesen, als mein Halbbruder die Wohnung unseres gemeinsamen Vaters auflöste – aber als ich es abholen wollte, war es weg. Einfach verkauft. Ich war damals ziemlich verärgert, denn das war das Einzige, was mein Halbbruder mir lassen wollte und dass, obwohl ich zum Wohle seiner Mutter auf mein Erbe warten wollte, dann aber wegen der Überschreitung einer Frist zur Anmeldung meines Pflichtteils komplett leer ausging. Ich hätte etwas mehr Kooperationsbereitschaft oder gar Dankbarkeit erwartet, aber das Gegenteil war der Fall.
Immerhin hatte ich seine Geige und sein Akkordeon bekommen – das war aber schon viel früher gewesen und hatte mit der Auflösung der Wohnung nichts zu tun.
Die Tochter meines Halbbruders hat später, nachdem auch er verstorben war, zumindest zum Teil über eine freundliche Geste dieses absonderliche Verhalten wieder gut gemacht. So konnte ich dann doch einige Erinnerungsstücke, darunter Originalnoten des Musicals Mr. Popcorn – oder die Reise nach Rothenburg und zwei Goldene Schallplatten sowie Fotoalben, bekommen. Ich bin ihr dafür noch sehr dankbar.
Nun war ich also ganz Ohr und stellte dem Anrufer ein paar Fragen zu dem Klavier, auch deshalb, weil mein vierzehnjähriger Sohn Interesse daran geäußert hatte, sein Yamaha Arius gegen ein echtes Klavier tauschen zu wollen. Es wäre natürlich ganz toll gewesen, wenn der Enkel das Klavier bekommen könnte, auf dem der Großvater seine Kompositionen entwickelt hat.
Doch leider stellte sich heraus, dass das Klavier in der Türkei nun doch nicht das Klavier von Franz-Josef Breuer gewesen war. Es stand lediglich auf einem Aufkleber „Josef Breuer“ und auch der Klaviertyp und die Geschichte des Kaufes passte nicht. So hatte der türkische Herr das besagte Klavier bei einem Studenten erworben – und das auch erst einige Jahre, nach dem das Original-Klavier verkauft worden war. Schade, aber nett war es doch.
Ich werde mal nachsehen, ob ich ein Foto des Klavieres aus dem Arbeitszimmer finde. Der Flügel aus der Bredenbekstraße ist ja bereits Ende der 70er Jahre verkauft worden. Da weiß man nicht einmal, ob der noch irgendwo steht.